Um Treibhausgasemissionen in Zukunft zu verringern und Klimaschutzziele einzuhalten, wird immer häufiger Carbon Capture, also die Abscheidung von CO2, diskutiert. Gerade der Industriesektor, wo Emissionen oft nur sehr schwer zu reduzieren sind, setzt große Hoffnung in Carbon Capture, Transport, Utilisation and Storage (deutsch: Abscheidung, Transport, Nutzung und Speicherung von CO2, kurz CCTUS), um CO2-Emissionen in die Atmosphäre zukünftig zu verringern bzw. ganz zu vermeiden. Das hört sich erst mal sehr schön und klimafreundlich an, ist allerdings mit enormen Kosten und Unsicherheiten verbunden. In diesem Artikel will ich darauf eingehen, was im Detail hinter dem Kürzel CCTUS steckt und welches Potential es tatsächlich für die Industrie birgt.
Tatsächlich wird üblicherweise meist von Carbon Capture, Utilisation and Storage (CCUS) gesprochen. Genau genommen ist das allerdings nicht ganz korrekt, da auch der Transport von CO2 ein Schlüsselelement innerhalb der CO2-Abscheidungsinfrastruktur darstellt und daher nicht vernachlässigt werden darf [1]. Eine CO2-Abscheidungsinfrastruktur umfasst in der Regel folgende Schritte [2]:
- Die CO2-Abscheidung aus stationären Quellen wie zum Beispiel Industriefabriken bzw. aus der Atmosphäre,
- den Transport von CO2,
- die anschließende Nutzung von CO2 für verschiedene Produkte
- oder die geologische Speicherung.
Genaueres dazu findest du in den nächsten Kapiteln. Um die Gesamtheit dieser Wertschöpfungskette zu erfassen, werde ich in diesem Artikel daher von CCTUS anstelle des gemeinhin verwendeten Begriffs CCUS sprechen.
CCTUS – Was ist das überhaupt und welche Rolle spielt es im Klimaschutz?
CCTUS steht für Carbon Capture, Transport, Utilisation and Storage, also auf Deutsch: Abscheidung, Transport, Nutzung und Speicherung von CO2. Vermutlich hast du schon mal von CCTS (kurz für Carbon Capture, Transport and Storage; deutsch: Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2) oder CCTU (kurz für Carbon Capture, Transport and Utilisation; deutsch: Abscheidung, Transport und Nutzung von CO2) gehört. CCTUS ist quasi die Kombination aus diesen beiden Konzepten. Das heißt, das abgeschiedene CO2 wird nach dem Transport entweder für die Produktion weiterer Produkte genutzt oder für (hoffentlich) immer unter der Erde gespeichert. Was da genau dahinter steckt, erfährst du in den Kapiteln weiter unten. Unter Umständen kann zu einem späteren Zeitpunkt das gespeicherte CO2 für die Herstellung von Produkten wieder entnommen werden. Die einzelnen Prozessschritte einer CCTUS-Kette zeigt zusammengefasst die folgende Abbildung:
CCTUS ist nicht ganz unumstritten, allerdings könnte darin ein großes Potential stecken, zukünftig CO2-Emissionen zu verringern. Die Europäische Union zum Beispiel betrachtet die CO2-Nutzung und Speicherung als einen notwendigen Teil ihrer Green-Deal-Strategie, um bis 2050 klimaneutral zu werden [3]. Und auch die Internationale Energieagentur (IEA) sieht in CCTUS einen wichtigen Beitrag für eine klimaneutrale Welt und setzt große Hoffnungen in die CO2-Abscheidung, insbesondere im Industriesektor [4]. Was den Industriesektor betrifft, hält es sogar der Weltklimarat (IPCC) für unwahrscheinlich, dass das 1,5°C-Ziel allein durch Effizienzverbesserungen erreicht werden kann, und geht daher davon aus, dass eine Kombination von Technologien – einschließlich CCTUS – erforderlich ist, um die gesteckten Klimaziele zu erreichen [5].
Das verlorene Jahrzehnt
Bereits 2005 veröffentlichte der IPCC einen Sonderbericht über CO2-Abscheidung und Speicherung, woraufhin eine rege Diskussion folgte [6]. Martin-Roberts et al. (2021) beschreiben die darauffolgende Zeit als „Euphorie” [7], insbesondere als 2010 das sehr CCTS-optimistische Blue Map Szenario der IEA [8] veröffentlicht wurde. Darauf folgte allerdings eine Phase der Ernüchterung, in der nur sehr geringe Fortschritte bei CCTS-Anlagen und Projekten zu beobachten waren [7]. Die Hauptgründe für dieses “verlorene Jahrzehnt” liegen unter anderem im breiten gesellschaftlichen Widerstand, den unterschätzten Kosten sowie der Vernachlässigung des Aufwandes von CO2-Transport und Speicherung [1].
Im Jahr 2011 befanden sich fast alle der bis dahin entwickelten Abscheidungstechnologien in der Pilotphase, keine der Technologien wurde zu diesem Zeitpunkt in irgendeiner Branche kommerziell genutzt [9]. Bis 2020 hat sich an dieser Situation kaum etwas geändert, die meisten Technologien zur CO2-Abscheidung befinden sich nach wie vor in der Prototyp- und Demonstrationsphase [10]. In den letzten zehn Jahren wurden in Europa zwar mehr als 30 Projekte im Industrie- und Stromsektor angekündigt, keines davon wurde bis 2021 allerdings realisiert [11]. Im Jahr 2022 waren weltweit schließlich insgesamt 35 CCTUS-Anlagen in Betrieb, zwölf im Bau und weitere 247 sind angekündigt. Ankündigungen gibt es also bereits zahlreiche, ob all diese Projekte auch jemals realisiert und kommerziell betrieben werden können, bleibt hingegen fraglich. Die Vergangenheit hat jedenfalls gezeigt, dass viele Ankündigungen und eine große Euphorie alleine nicht unbedingt Erfolg versprechen.
Wie kann CO2 eigentlich transportiert werden?
Wenn es um eine CCTUS-Infrastruktur geht, spielt der Transport von CO2-Quellen (also der Industrie) zu den Senken (Speicherstätten oder Industriestandorte für die Nutzung) eine wesentliche Rolle. CO2 kann grundsätzlich per Pipeline, Schiff, Zug und LKW transportiert werden [2][12][13][14]. Die Wahl des am besten geeigneten Transportmittels hängt hauptsächlich von Faktoren wie der Menge, der Entfernung und der geografischer Lage der jeweiligen Standorte ab [2][6][14]. In den meisten Fällen aber wird die Pipeline als die wirtschaftlich günstigste Option für den CO2-Transport angesehen, insbesondere bei großen Mengen und großen Entfernungen [2][15][16][17][18]. CO2-Pipelines sind heutzutage bereits auf der ganzen Welt zu finden. Mit einer Länge von 352 km war die 1970 gebaute Canyon Reef Carriers in den USA die erste groß angelegte CO2-Pipeline [6]. Inzwischen umfasst das CO2-Pipelinenetz in Nordamerika mehr als 8.000 km und transportiert 70 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, das vor allem für die tertiäre Ölgewinnung (Enhanced Oil Recovery – EOR) verwendet wird, um damit die Ausbeute der Erdölförderung zu erhöhen [2]. Die CO2-Pipelinenetze in Europa sind mit etwa 300 km in Frankreich, den Niederlanden und Norwegen viel kleiner [19]. Auch in Deutschland könnte bald ein CO2-Pipelinenetz entstehen. Der Übertragungsnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE) hat erst kürzlich angekündigt, ein CO2-Pipelinenetz in Deutschland bauen zu wollen. In einer ersten Ausbaustufe soll es rund 1.000 km umfassen und jährlich etwa 18 Millionen Tonnen CO2 von Zement- und Kalkfabriken zu Standorten der chemischen Industrie für die weitere Nutzung transportieren. In Betrieb gehen soll die Pipeline schließlich im Jahr 2028.
Um CCTUS im großen Maßstab zu etablieren, müsste global gesehen ein riesiges CO2-Pipelinenetz gebaut werden. Peletiri et al. (2018) gehen davon aus, dass im Jahr 2050 weltweit Pipelines mit einer Länge von 200.000 km benötigt würden, um damit insgesamt 10 Gt pro Jahr (zum Vergleich: 2021 wurden weltweit etwa 36 Gt CO2 in die Atmosphäre emittiert) von den Quellen zu den Senken zu transportieren [19]. Um kleine Mengen CO2 über kurze Distanzen zu transportieren, kann auch der Straßentransport eine Rolle spielen und sogar die kostengünstigere Option für den CO2-Transport sein [16]. Ein bedeutender Unterschied im Vergleich zum Pipelinetransport ist hier jedoch die Notwendigkeit der Verflüssigung und der anschließenden Zwischenlagerung von CO2. Das ist notwendig, da der Transport in gasförmigem Zustand aufgrund der geringen Dichte viel zu teuer wäre [20].
Utilisation: CO2 kann auch recycelt werden
Das U in CCTUS steht für Utilisation, also die Nutzung von CO2. CO2 dient dabei als Rohstoff und wird für die Herstellung von Produkten, vorwiegend Chemikalien, verwendet. Schon heute gibt es einen – wenn auch noch eher überschaubaren – Markt für die Nutzung von abgeschiedenem CO2. Weltweit werden 230 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr (etwa 0,6 % der jährlichen globalen CO2-Emissionen) in verschiedenen Industrien genutzt, der größte Teil davon für die Harnstoffproduktion (130 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr), gefolgt von der Nutzung für EOR zur Erdölgewinnung mit 70-80 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr [21]. Nachhaltig ist letzteres jedoch nicht, da durch diese „Nutzung“ Erdöl gewonnen wird, welches bei der Verbrennung zu weiteren CO2 Emissionen führt. CO2 kann aber auch für die Umwandlung von Wasserstoff zur Herstellung von CO2-basierten Kraftstoffen verwendet werden. Für die Herstellung von Wasserstoff wird allerdings sehr viel Energie benötigt [21] . Umweltfreundlich kann dieses Verfahren daher erst sein, wenn es sich um grünen, d.h. aus erneuerbaren Quellen erzeugter, Wasserstoff handelt. Allerdings werden auch CO2-basierte Kraftstoffe bei ihrer Verbrennung CO2 wieder in die Atmosphäre abgeben. Dadurch wird CO2 zwar recycelt und bekommt ein zweites Leben, am Ende des Tages gelangt es aber doch in die Atmosphäre und treibt die Klimakrise weiter voran.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, abgeschiedenes CO2 zu nutzen – die direkte Nutzung oder durch eine nachgelagerte CO2-Umwandlung:
Die direkte Nutzung umfasst EOR, die Getränkeherstellung (Kohlensäure) und die Verwendung in Gewächshäusern für optimale Bedingungen für Pflanzen. In diesen Fällen kann CO2 ohne weitere Verarbeitung verwendet werden [22]. Auf die zukünftige Nutzung von CO2 durch eine Umwandlung hingegen setzt vor allem die Industrie, um ihre Emissionen in die Atmosphäre reduzieren zu können [23]. Schmid und Hahn (2021) analysierten das theoretische Potenzial der CO2-Nutzung für Deutschland bis 2030 und schätzen eine Gesamtmenge von 262 bis 423 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr (das entspräche mehr als die jährlichen Industrieemissionen in Deutschland), wobei der größte Teil (75-80 %) auf die Produktion synthetischer Energieträger fällt. Der Rest fällt unter anderem auf die Herstellung von Massenchemikalien [24]. Diese enormen Mengen an einer CO2-Nachfrage stellen jedoch nur ein theoretisches Potential dar und würden vollständige Prozessänderungen in den jeweiligen Industrien erfordern, was wiederum mit viel Zeit und hohen Kosten verbunden ist.
Geologische Speicherung von CO2
Im Vergleich zur CO2-Nutzung ist die CO2-Speicherung bisher weitaus besser erforscht. CCTS gibt es bereits seit 1972, als CO2 zum ersten Mal in einen unterirdischen Speicher gepresst wurde [25]. CO2-Speicherstätten können theoretisch sowohl an Land als auch an der Küste liegen, zum Beispiel in salinen Aquiferen oder erschöpften Öl- und Gasfeldern [14]. In Deutschland wie in Österreich gibt es derzeit allerdings keine Möglichkeit, geologisch CO2 legal zu speichern. Die geologische Speicherung ist lediglich zu Forschungs- und Versuchszwecken erlaubt, wie etwa in einem Pilotprojekt in Ketzin, Deutschland. Trotz Interesses, insbesondere der Industrie, an einer dauerhaften Speicherung von großen CO2-Mengen gibt es derzeit keine weiteren Gesetzesentwürfe, die eine unterirdische Speicherung von CO2 zu kommerziellen Zwecken erlauben würden. Die Zukunft der CO2-Speicherung in Österreich und Deutschland bleibt daher weiterhin ungewiss. In vielen anderen Ländern sieht die Rechtslage übrigens anders aus. In Norwegen wird zum Beispiel gerade an dem Projekt Northern Lights gebaut. Damit sollen ab 2024 bis zu 1,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in einer Tiefe von 2.600 Metern unter dem Meeresboden permanent gespeichert werden. Industriestandorte aus ganz Europa sollen dann in der Norwegischen Nordsee ihre Emissionen speichern können.
Case Study: CO2-Infrastruktur in Deutschland
Im Zuge meiner Masterarbeit an der Technischen Universität Berlin stellte ich mir mit meinem Kollegen Louis Kolbeck folgende Fragen: Wie könnte eine CO2-Transportinfrastruktur in Deutschland aussehen und unter welchen Bedingungen wäre es ökonomisch überhaupt sinnvoll? Um das zu beantworten, entwickelten wir ein Optimierungsmodell, das uns für bestimmte Szenarien die Kosten sowie das benötigte CO2-Transportnetzwerk sowohl für den Pipeline- als auch für den Straßentransport im Jahr 2030 aufzeigte. Kurz gesagt: Das Modell entscheidet, ob an den jeweiligen Industriestandorten entweder CO2 emittiert oder in eine CCTUS Infrastruktur investiert wird. Ist ersteres der Fall, also gelangt CO2 in die Atmosphäre, fallen im Gegenzug Kosten für den Kauf von CO2-Zertifikaten an. Ziel des Modells ist es, die gesamtheitlich kostenoptimalste Lösung zu finden und ein mögliches CO2-Transportnetz aufzuzeigen. Die konkreten Entscheidungen des Modells und die damit verbundenen Kosten stellt die folgende Grafik dar:
Unsere Modellergebnisse zeigen, dass erst bei einem CO2-Zertifikatspreis zwischen 105€ und 150€ pro Tonne CO2 sowie einer hohen Nachfrage an CO2 von 68 Millionen Tonnen pro Jahr so viel CO2 abgeschieden wird, um damit theoretisch die Klimaziele für die deutsche Industrie bis 2030 zu erreichen. Eine mögliche Infrastruktur für dieses Szenario zeigt die Abbildung unten. Dass tatsächlich die Nachfrage 68 Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030 erreicht wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Bei einer geringeren CO2-Nachfrage können alleine durch CCTUS die gesetzten Klimaziele jedenfalls nicht erreicht werden.
Neben der Nachfragemenge spielt auch der CO2-Zertifikatspreis eine ganz entscheidende Rolle. Denn bei einem CO2-Zertifikatspreis von weniger als 75€ pro Tonne CO2 würde sich Carbon Capture kaum finanziell lohnen. In diesem Fall wäre es laut Modell bis auf ganz wenige Ausnahmen günstiger, CO2 in die Atmosphäre zu emittieren und im Gegenzug CO2-Zertifikate einzukaufen.
Willst du noch mehr über das Modell oder unsere Ergebnisse der Masterarbeit wissen? Dann hinterlasse doch gerne einen Kommentar oder schreibe uns eine Mail!
Fazit
CCTUS als Möglichkeit, Industrieemissionen in Zukunft zu verringern oder gar zu vermeiden, klingt zwar schön, ist aber mit erheblichem Aufwand und Kosten verbunden. Gerade aufgrund der Tatsache, dass bis dato kaum kommerziell genutzte Anlagen in Betrieb sind und in den letzten 20 Jahren trotz großer Euphorie nur wenige Fortschritte erzielt wurden, darf angezweifelt werden, dass in CCTUS wirklich die Zukunft der klimaneutralen Industrie liegt. Unsichere Kostenentwicklungen für CO2-Abscheidungsanlagen und Transportinfrastruktur sowie fehlende rechtliche Rahmen für die Speicherung erschweren eine schnelle Entwicklung zusätzlich. Häufig dient CCTUS als Begründung, weiter zu wirtschaften wie bisher, anstatt tatsächlich emissionsfreie Alternativen zu implementieren. Für viele Industriebranchen existieren bereits erprobte Möglichkeiten, um CO2-Emissionen gänzlich zu vermeiden, z.B. die Stahlherstellung mit Wasserstoff anstatt mit Kohle. CCTUS sollte lediglich für Industriebranchen mit keiner emissionsfreien Alternative, etwa der Zementindustrie, eine Rolle spielen. Allerdings müssten dafür so schnell wie möglich ein rechtlicher Rahmen geschaffen und erste Schritte eingeleitet werden. Denn jedes Jahr werden weltweit Milliarden Tonnen Treibhausgase emittiert, die die ohnehin schon fortgeschrittene Klimakrise weiter anheizen. Die Zeit, in der die Industrie klimaneutral werden muss, ist begrenzt. Und die sollte nicht damit verschwendet werden, auf Technologien zu setzen, deren Zukunft höchst ungewiss ist.