Schafe stehen auf einer Straße inmitten einer grünen Landschaft in Island.

Vom Wald zur Wüste: Die ökologischen Auswirkungen der isländischen Schafhaltung

Island ist bekannt für seine ursprünglichen Landschaften, beeindruckende Naturspektakel wie Vulkanausbrüche und Wasserfälle sowie die wilden Pferde und Schafe, die einem im Sommer stets auf den Straßen begegnen. Doch was mit Island nicht assoziiert wird, sind weitläufige Wälder. Und das zu Recht, denn diese machen lediglich 1,9 % der Oberfläche des Landes aus [4]. Das war nicht immer so. Vor der Besiedelung vor etwa 1.000 Jahren war rund 65 % der Landoberfläche von Vegetation und dichten Wäldern bedeckt [1]. Allerdings haben die freilaufenden Schafe, eines der Wahrzeichen Islands, ihren Anteil an der größten anthropogenen Wüstenbildung Europas. In diesem Blogbeitrag beleuchte ich die ökologischen Auswirkungen der isländischen Schafhaltung und wie sie dazu beiträgt, dass aus isländischen Wäldern Wüsten werden.

Réttir: Die Schafhaltung in Island ist traditionsreich

Die Schafhaltung hat in Island eine jahrhundertealte Tradition. Es wird angenommen, dass bereits mit der ersten Besiedlung die Schafe von den norwegischen Siedler:innen auf die Insel gebracht wurden. Seit jeher spielen die Schafe als Nutztiere aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Widerstandsfähigkeit gegen die widrigen Wetterverhältnisse eine herausragende Rolle in der isländischen Kultur [5]. Es wird sowohl ihr Fleisch als auch ihre Milch genutzt und die Schafwolle wird für Textilien und Kleidung verwendet.

In Island weiden die Schafe im Sommer in offener Natur. Jedes Jahr im Herbst werden sie aus dem Hochland im unbewohnbaren Zentrum des Landes von den Bergen und Wiesen gesammelt und in spezielle Gehege, sogenannte Réttir, getrieben. Dort werden sie sortiert und markiert und den jeweiligen Besitzer:innen zugeordnet. Die Schafe überstehen dann den langen und eisigen Winter in den Tälern an den Küsten bei den Landwirten. Im Frühsommer werden die Schafe dann begleitet von Volksfesten und Ritualen wieder frei in die Berge gelassen. Sowohl das Eintreiben der Schafe im Herbst als auch das Freilassen im Frühjahr sind jahrhundertealte Traditionen und für die isländische Bevölkerung identitätsstiftende Ereignisse, die das Jahr strukturieren. Für viele isländische Menschen ist dieses Ritual ein integraler Bestandteil ihrer Kultur.

Die traditionelle Schafhaltung ist auch für den Tourismus von besonderer Bedeutung. Die Schafe sind für viele Tourist:innen ein Symbol für die unberührte Natur des Landes und das Beobachten der frei weidenden Schafe im Sommer ist ein Erlebnis, welches viele Reisende nach Island lockt. Der Tourismus ist in Island neben der Fischereiwirtschaft der größte ökonomische Sektor des Landes und damit bestimmen die Interessen der Tourismuswirtschaft zentrale Aspekte politischer Entscheidungen.

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Freilaufende Schafhaltung als Problem

Wenn die Schafe im Frühjahr in den Bergen grasen, dann scheint dies auf den ersten Blick ein idyllisches Bild zu sein und vermittelt den Eindruck von Natürlichkeit und unberührter Landschaft. Doch was auf den ersten Blick harmlos aussieht, hat weitreichende ökologische Folgen. Zunächst hat das Grasen verheerende Folgen für die Biodiversität der ohnehin artenarmen isländischen Vegetation [1] [6]. Denn Schafe bevorzugen bestimmte Pflanzenarten gegenüber anderen. So fressen sie vorwiegend bestimmte Blumenarten. Dadurch sind bereits einige heimische Pflanzenarten in Island sehr selten geworden.

Eisrandblumen am Gletscher Vatnajökull
Eisrandblumen am Gletscher Vatnajökull © 2023 [Friederike Rosenbaum]

Die Geschichte des isländischen Waldes

Vor 5 bis 15 Millionen Jahren dominierte in Island ein relativ warmes Klima, sodass Mammutbäume, Magnolien, Fenchelholzbäume, und Buchenwälder reichlich zu finden waren. Vor etwa 1,5 bis 5 Millionen Jahren, d.h.  im Pliozän, gab es dann immer mehr boreale Wälder, d.h. Wälder mit Baumarten wie Kiefern, Fichten, Birken und Erlen. Dies deutet auf ein kühleres Klima während dieser Periode hin [4]. Im Laufe der folgenden Eiszeiten verschwanden fast alle dieser Baumarten und lediglich die Moorbirke kehrte auf die Insel zurück. Weitere einheimische Baumarten sind heute die Eberesche, die Espe und die teeblättrige Weide, die jedoch alle recht selten geworden sind. Die heimischen Bäume werden mit einer maximalen Höhe von 15 Metern nicht sonderlich groß und die meisten von ihnen verbleiben in Strauchgröße [1] [4].


Gut zu wissen: Waldklassifikation nach Baumhöhe [9]
HochgebirgswaldBaumhöhe ≥ 5 Meter im Reifezustand
MittelwaldBaumhöhe 2 – 4,99 Meter im Reifezustand
StrauchheideBaumhöhe unter 2 Meter im Reifezustand

Zur Zeit der Besiedelung machten Birkenwälder und andere Waldgebiete ca. 25-40 % der Landfläche aus und bildeten damit eine Gesamtvegetationsdecke von ca. 65 % [1]. Als die ersten Siedler:innen um 874 n. Chr. nach Island kamen, begannen sie die bestehenden Wälder abzuholzen, um landwirtschaftliche Fläche zu gewinnen und das Holz als Brennstoff, Baumaterial und Viehfutter zu verwenden. Der bedeutendste Verwendungszweck war die Herstellung von Holzkohle zur Verhüttung von Eisen und zur Herstellung von Eisenwerkzeugen [5]. Isländisches Holz wurde bis in die 1940er Jahre als Brennstoff und bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Viehfutter verwendet. Aufgrund des Mangels an Nahrungs- und Futtermitteln auf der Insel wurden kleine Äste der heimischen Bäume abgeerntet und an das Vieh verfüttert. Nur so konnten die Tiere den Winter im Freien überleben. Die heimischen Wälder haben massiv unter diesen Verwendungen gelitten. Mittlerweile haben sich die Technologien zur Heugewinnung und –konservierung verbessert, sodass die Tiere im Winter nicht mehr auf die Weide müssen, sondern in Ställen überwintern [5].

Grüne weite Wiese in Island, auf der ein Haus steht.

Ein Umdenken: Durch Aufforstung aus der Krise?

Bereits um 1300 war isländisches Holz auf der Insel so knapp, dass die katholische Kirche begann, sich Holzreste anzueignen [4]. In der Mitte des 20. Jahrhunderts erreichte die Bewaldung des Landes mit weniger als 1 % der Landfläche ihren Tiefpunkt. Damals wurden Sofortmaßnahmen ergriffen und die verbleibenden Waldgebiete wurden zum Schutz vor Schafen eingezäunt. Ab 1950 setzte sich dann die Aufforstung gegenüber der Entwaldung durch. Die erste organisierte Forstwirtschaft begann bereits 1989 mit einer Kiefernplantage. Die ersten gesetzlichen Maßnahmen wurden allerdings schon im Jahre 1907 ergriffen und bereits im selben Jahr wurde die isländische Forstbehörde gegründet  [4] [9]. Die Effektivität dieser Bemühungen bei der Aufforstung änderte sich im Laufe der Jahre in Abhängigkeit von der schwankenden gesellschaftlichen und finanziellen Unterstützung. Ab 1990 bis zur Mitte der 2000er Jahre stiegen die Aufforstungsbemühungen massiv an. Die Finanzkrise im Jahre 2008 hatte jedoch eine tiefgreifende Zäsur zur Folge. Die Förderung der Aufforstung durch den Staat blieb aus. Viele Baumschulen sind unter dem finanziellen Druck eingebrochen und Fachpersonal wanderte ins Ausland ab. Die Finanzkrise führte ebenfalls dazu, dass erstmals wieder Wälder zu ökonomischen Zwecken ausgedünnt wurden und seitdem in kleinen Mengen wieder isländisches Holz auf dem Markt zu finden ist. Mittlerweile hat sich die Fördersituation wieder stabilisiert [4]. Dennoch ist klar: Die Aufforstungsbemühungen sind kostenintensiv und aufwändig. Trotz des jahrzehntelangen Engagements ist der Waldbestand nur marginal gestiegen [4] [8]. Viel effektiver wäre die natürliche Ausbreitung der Wälder. Dies wird durch die traditionelle isländische Schafhaltung jedoch verunmöglicht.


Kurzüberblick [4]
Landfläche Islands100.250 km²
Bewirtschaftete Waldfläche400 km²
Gesamtfläche der Waldgebiete1906 km²
Kohlenstoffbindung in nach 1990 gepflanzten Wäldern210.000 t CO2 pro Jahr
Jährliche Zunahme der Waldfläche (1990-2015)4,58 %

Zum Vergleich: Österreich hat eine Fläche von 83.871 km². Davon sind ca. 40.000 km², also fast die Hälfte, Waldfläche.

Die Folgen: Erosion, Wüstenbildung und Sandstürme

Durch den mangelnden Baumbestand bilden sich im ganzen Land riesige Wüsten. Denn der isländische Boden unterscheidet sich aufgrund der umfangreichen vulkanischen Aktivität in Island stark von anderen Bodentypen, die in Europa zu finden sind. Vor allem in der vulkanischen Zone, die sich vom Südwesten bis zum Nordosten des Landes erstreckt und besonders im Hochland aktiv ist, enthält der Boden viel Kohlenstoff und Andosol. Er besteht aus grobkörnigem, festem Material mit hoher Porosität und einem geringen Anteil an organischer Substanz. Daher ist der isländische Boden sehr empfindlich und erosionsanfällig.

Bodenerosion im Süden Islands
Bodenerosion im Süden Islands. © 2023 [Friederike Rosenbaum]

Für die Bodenerosion in diesen Gebieten gibt es mehrere Gründe. Einige sind anthropogene, d.h. vom Menschen verursachte Faktoren, andere sind das Ergebnis natürlicher Gegebenheiten. Alle diese Gründe stehen im Zusammenhang mit der Abholzung der Wälder. Denn: Bäume und Sträucher haben Wurzeln, die die Integrität des Bodens stärken. Wenn es keine Bäume und keine andere Vegetation auf dem empfindlichen Boden gibt, gerät er leicht ins Rutschen [2] [3].

Die grassierende Bodenerosion hat große Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Bereits vor 20 Jahren wurde festgestellt, dass der erodierte Boden in Island große Mengen an klimaschädlichem organischem Kohlenstoff freisetzt [6] [7]. Die Auswirkungen der isländischen Land- und Forstwirtschaft hat damit nicht nur lokale, sondern auch globale Folgen. Durch die Erosion entsteht zudem eine Menge loser Erde, die Sand- und Staubdünen bildet. In Verbindung mit starken Winden und Vulkanausbrüchen können diese gefährliche Staubstürme verursachen. Die Dünen wandern umher und in einigen Teilen des Landes mussten Landwirte aus diesem Grund sogar ihre Höfe umsiedeln oder aufgeben [2] [3].

Vulkanausbruch bei Fimmvörðuháls
Vulkanausbruch bei Fimmvörðuháls (Boaworm, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons)

Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Naturphänomenen, die für Island typisch sind und die das Leben für die Vegetation erschweren. Am schwer-wiegendsten wirken Vulkan-ausbrüche, von denen es in Island statistisch gesehen 20 pro Jahrhundert gibt [1]. Die Hitze und die Lava, die die Flora bedecken, üben einen starken Druck auf sie aus, und viele Pflanzen sterben infolgedessen ab. Katabatische Winde und Überschwemmungen von Gletscherflüssen schaffen ein sehr raues Klima, in dem die meisten Pflanzen nicht überleben können [5]. Nach einem Vulkanausbruch wird die Asche jahrelang hin und her geblasen und kann noch Jahrzehnte nach dem ursprünglichen Ausbruch Staub- und Sandstürme verursachen. Wären die Gebiete bewaldet, dann würde sich die Asche viel schneller absetzen und so die schwersten Stürme verhindern. Gleichzeitig wird das Anwachsen für junge Bäume durch die wütenden Stürme noch schwieriger [1] [5].

Wie wir daraus lernen können

Die Schafzucht in Island hat eine lange Tradition und spielt eine wichtige Rolle für die Kultur und die Wirtschaft des Landes. Sie hat jedoch auch schwerwiegende ökologische Auswirkungen. Eines der Hauptprobleme im Zusammenhang mit der Schafbeweidung ist die negative Auswirkung des freien Weidens auf die Biodiversität. Aus ökologischer Sicht noch gravierender ist es, dass die Schafe auch junge Bäume fressen, was die natürliche Regeneration des ohnehin begrenzten Waldbestands in Island verhindert.

Der Konflikt zwischen kulturellen Traditionen und Umweltschutz ist ein komplexes Phänomen, das auf der grundlegenden Frage beruht, wie wir als Gesellschaft leben wollen. Die traditionelle Schafzucht ist tief verwurzelt in der Geschichte und Kultur der isländischen Gesellschaft und repräsentiert einen wichtigen Teil ihrer Identität und ihres Erbes. Gleichzeitig besteht im Umweltschutz die Notwendigkeit, die natürliche Umwelt zu bewahren, um die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen sowie die langfristige Nachhaltigkeit unseres Planeten zu gewährleisten.

Mit Konflikten, die eine Abwägung zwischen Umweltschutz und der Rücksicht auf Kulturtraditionen erfordern, wird auch Österreich immer wieder konfrontiert. Die globalen Auswirkungen der traditionellen isländischen Schafhaltung erfordert eine solche sorgfältige Verhältnismäßigkeitsprüfung der betroffenen Güter. Klar ist, dass die derzeitigen Aufforstungsbemühungen allein bei weitem nicht imstande sind, die gegenwärtigen Herausforderungen zu meistern.



Quellen

[1] Arnalds, A. (1987). Ecosystem Disturbance in Iceland. Arctic and Alpine Research, 19(4), 508–513.

[2] Arnalds, O., Thorarinsdottir, E. F., Metusalemsson, S., Jonsson, A., Gretarsson, E., & Arnason, A. (Hrsg.). (2001). Soil erosion in Iceland. The Soil Conservation Service and the Agricultural Research Institute.

[3] Boardman, J., Poesen, J., & Evans, R. (2003). Socio-economic factors in soil erosion and conservation. Environmental Science & Policy, 6(1), 1–6.

[4] Eysteinsson, T. (Hrsg.). (2017). Forestry in a Treeless Land. Skógræktin. Icelandic Forest Service.

[5] Greipsson, S. (2012). Catastrophic soil erosion in Iceland: Impact of long-term climate change, compounded natural disturbances and human driven land-use changes. CATENA, 98, 41–54.

[6] National Inventory Report. Emissions of Greenhouse Gases in Iceland from 1990 to 2016. (2018). The Environment Agency of Iceland.

[7] Óskarsson, H., Arnalds, Ó., Gudmundsson, J., & Gudbergsson, G. (2004). Organic carbon in Icelandic Andosols: Geographical variation and impact of erosion. CATENA, 56(1), 225–238.

[8] Sigurdsson, B. D., & Snorrason, A. (2000). Carbon sequestration by afforestation and revegetation as a means of limiting net-CO2 emissions in Iceland. Biotechnology, Agronomy and Society and Environment, 4(4), 303–307.

[9] Snorrason, A., Kjartansson, B. Þ., & Traustason, B. (2020). Forest Reference Level 2021-2025: Iceland. National forestry accounting plan. Skógræktin. Icelandic Forest Service.

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